Eine Frage der Perspektive: marktkonforme Demokratie und Gesellschaft

„Uns Deutschen geht es doch gut“, hört man in den letzten Tagen immer wieder die Vertreter der Union sagen. „Uns geht es so gut wie nie“. Die Wirtschaftszahlen sprechen da eine klare Sprache und bestätigen diese Aussage durchaus. Niedrige Arbeitslosenquote, wiederholt einen ausgeglichenen Haushalt, wachsende Wirtschaft.

Auf der anderen Seite bemerken wir Strömungen in unserer Gesellschaft, die diese optimale Betrachtung nicht teilen. Im Bundestag gibt es immer wieder Reden, die darauf hindeuten, dass doch nicht alles in Butter ist. Hier sind gerade die kleinen Parteien der Opposition zu hören. In den Landtagen bemerken wir zunehmend die Teilnahme einer neuen Partei, die mit destruktiven Gebaren ebenfalls auf großer Unzufriedenheit im Volk aufsattelt. Diese Partei bedient recht wirkungsvoll die Sehnsucht danach, die Zeit etwas zurückzudrehen. Es reicht doch aus, wenn wir unsere Geschäfte in unseren Landesgrenzen abwickeln und die Fremden vor der Türe stehen lassen.

Wie passt das zusammen, diese großen Erfolgsmeldungen auf der einen Seite und diese große Unzufriedenheit auf der anderen Seite. Vielleicht hat das hat etwas mit der Brille zu tun, durch die wir die Szenerie betrachten?

Stelle ich mir vor, ich bin Bundeskanzlerin, dann habe ich ziemlich viel um die Ohren. Da macht es schon aus zeitökonomischen Gründen Sinn, mich mit eher wenigen, dafür gut wirkenden Multiplikatoren zu beschäftigen. Großunternehmen zum Beispiel. Dieser Marktkonformismus hat die Idee, das es allen gut, wenn es nur der Wirtschaft gut geht. Unserer Wirtschaft geht es derzeit gut.

Wir haben eine große Vertrauenskrise in die politische Führung

Erst vor kurzem habe ich auf Facebook eine ausführliche Diskussion dazu geführt. Die Vertrauenskrise in die Politik betrifft nicht mehr nur einzelne Politiker, sondern den Berufsstand an sich. Der Vorwurf lautet zum einen auf persönliche Vorteilsnahme jenseits der ethisch akzeptierten Grenzen. Das ist einfach nachvollziehbar. Politik hat auch immer eine Vorbildfunktion. Zum anderen lautet der Vorwurf, dass die Politik an den Bedürfnissen des Volkes vorbeiregiert.

Merkels Perspektive ist ein grundsätzlich andere, eher an Rahmenbedingungen orientierte. Die großen Unternehmen werden es schon richten. Die Idee an sich ist nicht mal verwerflich. Sie setzt aber voraus, dass diese Unternehmen langfristige Strategien verfolgen. Ein schwer lösbarer Konflikt offenbart sich, wenn man bedenkt, dass die Manager dieser Unternehmen an kurzfristigen Erfolgen gemessen werden.

Wir erleben das, wenn es reizvoller ist über Austricksen und Betrug zu einem guten Wirtschaftsergebnis zu kommen, als über die Tugenden des ehrlichen Kaufmanns. Wir erleben es, wenn es durch massive Beeinflussung der Meinungsbildung von politischen Entscheidern zu eigenartigen Stilblüten kommt. Wir erleben es, wenn es Unternehmen völlig egal zu sein scheint, was sie in der Gesellschaft anrichten. Diese Phänomene ziehen sich durch nahezu alle Branchen: Automobil, Chemie, Landwirtschaft, Nahrungsmittel und viele andere.

Ich frage mich, wie schlau es ist unter diesen Vorzeichen des Wunschs nach schnellen Erfolg, genau diesen Unternehmensvertretern die Verhandlungshoheit über Staatsverträge von #TTIP, über #Ceta bis #TISA in die Hand zu geben?

Ein neugieriger Perspektivwechsel ist dringend notwendig

Setze ich eine andere Brille als die von Frau Merkel auf, sehe ich vielleicht, dass die Menschen gerne in einer funktionierenden Natur leben wollen. Dass sie nicht wollen, dass Kinder durch Umwelteinflüsse krank werden. Ich sehe vielleicht, dass Zeitverträge dafür sorgen, dass das gesamte Thema Familienplanung auf wackeligen Füßen steht. Vielleicht sehe ich sogar die große Unsicherheit in den Zukunftsvisionen dieser Menschen. Ich sehe unzureichend gelöste Themen, wie Armut, Arbeitslosigkeit und Rente – ausgelöst durch einen demographischen Wandel, der nun mit großer Ungerechtigkeit zu Wirken beginnt. Ich sehe vielleicht, dass der Protektionismus von sterbenden Geschäftsideen nicht dafür sorgen wird, dass diese Unternehmen im Weltmarkt der Zukunft eine Rolle spielen. Ich erkenne vielleicht, dass die Verhandlungspartner der Industrie eben nicht nachhaltig agieren. Da geht es um Opportunismus und das kann ich sogar verstehen. Ich kann durch die andere Brille vielleicht erkennen, dass mir diese Entwicklungen auf die Füße fallen werden.

Eine große Koalition hat immer die Chance die großen Themen anzufassen. Das ist die Erwartungshaltung der Leute. Leider hat die große Koalition nicht geliefert, sondern sich auf den guten wirtschaftlichen Kennzahlen ausgeruht – marktkonforme Demokratie nennen sie das in Berlin. Eine schwarze Null wird trotz so fantastischer Rahmendaten ertrickst, zu Lasten derer, die den entstehenden Investitionsstau dann auffangen müssen. Das ist schlicht unfair. Eine Ohrfeige für alle jene in Berlin, die eigentlich als Anwalt der Zivilgesellschaft an langfristigen und nachhaltigen Lösungen für unser Land arbeiten sollten. Da hilft eine zauderliche und uninspirierte Kanzlerin wenig. Da hilft ein Vizekanzler, der alle 5 Minuten seine Meinung verändert noch weniger. Da hilft es überhaupt nicht, dabei zuzusehen, wie der einst so gesunde Mittelstand sich von der Form einer Zwiebel in Richtung der Form einer Sanduhr mit starken Polen aus Armen und Reichen verändert.

Ganz im Gegenteil. Es braucht unbändigen Mut die großen Lösungen anzugehen. Mut, die Systeme nachhaltiger aufzustellen, eine höhere Gerechtigkeit zu erzielen. Dazu braucht es progressive Politik und exzellente Kommunikation. Wenn man das alles unter einen Hut bekommt, dann geht es uns wirklich gut. Und dann haben auch diese kleingeistigen Lichter an den den Rändern der Gesellschaft keine Substanz.

Disclaimer: Ich persönlich finde es wichtig, mehr als einen Standpunkt zu betrachten und Strategien zu entwickeln, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Das hat mich politisiert. Ich habe das große Glück mit dieser Sicht auf die Dinge jetzt als überzeugter Grüner Direktkandidat für den Bundestag im Wahlkreis 47 Hannover-Land II antreten zu dürfen. 

Meine Politikfelder

Ich fange an, mich innerhalb der Politik und meiner Partei besser zur orientieren. Aus diesem Grund möchte ich Euch einen ersten Einblick in die mir wichtigen Positionen und Politikfelder geben. Soviel vorab, mit dem bei mir zu erwarteten Themenkomplex Digitalpolitik ist man bei den Grünen sehr gut aufgehoben. Dies, obwohl man vielleicht meinen könnte, Digital und Grün stehen im Widerspruch zueinander. Das sehe ich anders. Wer sich ernsthaft über Digitalpolitik unterhält, bei dem steht immer auch das Thema Nachhaltigkeit auf der Agenda.

Themenfeld Netz- und Medienpolitik

Dieses seit jeher für mich interessante Themenfeld beinhaltet viele Faktoren aktueller politischer Fragestellungen. Erst am vergangenen Freitag durfte ich im Rahmen der „Das ist Netzpolitik“-Konferenz von netzpolitik.org dazu referieren, wie man mit Hate Speech umgehen kann. Diese Fragestellung bietet im Spektrum der Netzpolitik viele Antwortmöglichkeiten – Technische, Gesellschaftliche und Organisatorische. Sie alle einen sich meiner Meinung nach im Begriff der Medienkompetenz. Schließlich wissen wir als Gesellschaft häufig nicht, wie Algorithmen funktionieren, wie wir die Seriosität von Quellen am besten bewerten und wie einfach unsere Meinung durch so genannte Filterblaseneffekte manipulierbar ist.

Dabei geht es um nichts geringeres als den gesellschaftlichen Frieden. Die, die heute Lügenpresse rufen, denen steht all zu oft der Sinn nach der großen „Harmonisierung“ der Wahrheiten. Gesellschaftlicher Frieden bedarf jedoch unbedingt die Wahrung von kultureller Vielfalt. Entsprechend halte ich Qualitätsfaktoren im Bereich Meinungsbildung für unbedingt Vermittlungsbedürftig. Wir alle müssen als Teil der Gesellschaft verstehen, wie die Kommunikation im Internet funktioniert und was das mit uns machen kann, wenn wir uns eben keine neutrale Meinung mehr bilden können. Wenn wir nicht mehr unterscheiden können, ob eine Nachricht stimmt oder nicht, da die Kontrollinstanz der Gatekeeper (bspw. durch Journalisten) zunehmend fehlt.

Themenfeld Zukunft der Arbeit (Folgen der Digitalisierung)

Mit der Zukunft der Arbeit beschäftige ich mich bereits eine ganze Weile. Wie viele andere in meiner Branche auch, bin ich über die Kommunikation zu der Frage gekommen, wie wir künftig zusammen arbeiten wollen. Dem Thema habe ich mein neues Buch „Erfolgsfaktor Mitarbeiterintelligenz“ gewidmet, das ich zusammen mit Gabriele Kottlorz geschrieben habe. Die Digitalisierung verändert das Thema Arbeit rasant. Berufsbilder verändern sich dramatisch, manche verschwinden und andere kommen neu hinzu. Maschinen können immer besser einen Teil unserer Arbeit übernehmen. Das wirft neben der Fragestellung des „Wie wollen wir arbeiten“ Fragen nach dem „Wer hat am Ende eigentlich alles noch Arbeit“ auf. Die Forscher sind sich in dieser Frage hochgradig uneinig.

Wir sollten uns außerdem mit dem Gedanken vertraut machen, dass wir immer stärker mit limitierenden Faktoren zu tun haben. Ressourcen wollen sinnvoller eingesetzt werden, manche stehen in Zukunft vielleicht gar nicht mehr zur Verfügung. Wir bemerken das bspw. an der Forderung des Bundesrates ab 2030 keine neuen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren zuzulassen. Klimaziele erzwingen in diesem Fall ein anderes Handeln.

Alles zusammen, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit, sind urgrüne Themen. So ist es wenig verwunderlich, dass die Debatte darüber irgendwann das Thema Grundeinkommen berührt. Dort organisieren sich viele der tagesaktuellen politischen Themen: Rente, Hartz 4, Kinderarmut, Vollbeschäftigung und prekäre Beschäftigung. Kritiker versuchen die Grundeinkommensdebatte, gerne mit einem jovialen „Nicht finanzierbar“ abzuwürgen. Die These ist nur schwer von der Hand zu weisen. Dennoch verdient es das Thema, sich intensiv damit zu beschäftigen und so vielleicht die entscheidende Lösung zu finden.

Wer das tut, hat schnell spannende Erkenntnisgewinne. Ich persönlich bin bei dieser Auseinandersetzung mit dem Thema zu der Einsicht gekommen, dass es nicht länger darum gehen sollte an einem grundkranken System herumzudoktern. Vielmehr sollten wir uns als Bürger intensive Gedanken über einen Systemwandel machen und diesen von der Politik auch fordern. Wir sollten Fragen stellen, ob die auf Wachstum und Erwerbstätigkeit aufbauende Gesellschaft überhaupt ein zukunftsfähiges Modell ist. Oder ob wir uns nicht vielmehr mit Wertschöpfung und gesellschaftlichem Nutzen beschäftigen sollten. Eins möchte ich hier vorwegnehmen, die „Faulen“ sind eher kein Hindernis bei der Frage nach einem Grundeinkommen. Es lohnt sich, sich in dieses Thema hineinzuarbeiten.

Warum meine Fokussierung auf Nachhaltigkeit?

Es beschäftigt mich seit dem Beginn meiner Karriere, warum Menschen dumme Entscheidungen treffen. Da sind auch Wirtschaft und Politik nicht vor gefeit. Es werden wider besseren Wissens Entscheidungen getroffen, die eben nicht auf Nachhaltigkeit ausgelegt sind. Kurzfristige Erfolge gehen all zu oft vor. Auch das gefährdet den gesellschaftlichen Frieden und wird am Ende vermutlich unsere Ökosysteme zerstören, der Klimawandel ist in diesem Jahr präsenter denn jemals zuvor.

Die Grünen sind mir für dieses „Denk- und Werte-Paket“ eine gute politische Heimat. Ich bringe mich mit großer Freude in den politischen Gestaltungsprozess ein und bin sogar dazu aufgefordert dies zu tun. Ich erfahre große inhaltliche Bereicherung und darf an wertvollen Diskussionen und Wissensmomenten teilnehmen. Allein deshalb lohnt es sich für mich, mich politisch zu engagieren und eben meine Ziele nicht aus den Augen zu verlieren.

Nun bin ich also parteiisch

Homer Simpson sagte mal sinngemäß, mit dem Erwerb der Eintrittskarte habe er das Recht erworben das Spiel zu kommentieren. So verhält es sich wohl auch mit Politik. Da darf jeder kommentieren und auch ich habe dieses Recht umfangreich genutzt, nutze es noch immer. Nun ist es auf Dauer wenig erquicklich das Geschehen nur zu kommentieren. Viel besser wäre es doch vielleicht sogar inhaltlich mitzumischen, dachte ich mir schon lange und näherte mich über meine bestehenden Kontakte der politischen Szene. Hatte ich doch über Twitter, Facebook und diverse Netzwerkveranstaltungen schon einige Leute kennen gelernt, insbesondere im spannenden Feld der Netzpolitik. So liebäugelte ich durchaus mit einer politischen Heimat in der SPD. Davon nahm ich Abstand, als sich Sigmar Gabriel mit Obrigkeitsdünkel und Repressalien beim einem SPD-Konvent die Vorratsdatenspeicherung durchdrückte. Das ist nicht die Kultur, in der ich mich einbringen möchte.

Neben der SPD habe ich schon immer mit den Grünen sympathisiert. Die setzen sich für Nachhaltigkeit ein. Wenn man das verdichtet und ernsthaft macht, dann kann da eigentlich nur etwas Gutes bei herauskommen. Die Grünen stehen für Werte und haben den Wunsch, die Gesellschaft weiterzuentwickeln, statt sie im Stile Angela Merkels nur zu verwalten. Das gefällt mir, da es in meinen Augen die einzige Zukunftsperspektive beinhaltet: Zielführende und vorausschauende Aktivität.

An meinem 42ten Geburtstag hat der Vorstand der Lehrter Grünen meinen Aufnahmeantrag angenommen. Jetzt bin ich ein Grüner – obwohl ich mit Uniformierung wenig anfangen kann. Ich habe mich vorher ein halbes Jahr mit den Grünen beschäftigt und an verschiedenen Parteiveranstaltungen (diese sind nahezu alle öffentlich) teilgenommen, bevor ich meinen Beitrittsantrag auf den Weg gebracht habe. Seit dem habe ich viel über Politik gelernt, war schon bei einem Landesparteitag und fühle mich ein ums andere Mal bei der Wahl der Partei bestätigt. Dort werden Frauen bspw. gezielt und per System gefördert. Das macht einen Unterschied, obwohl auch bei den Grünen die Männer in der Mehrzahl sind. Diversität ist so ein weiteres tolles Ding, das in Deutschland wohl nur die Grünen ernsthaft betreiben. Natürlich geht es auch um die Natur, unseren Lebensraum, aber eben auch um eine extrem moderne Einstellung zu digitalen Dingen – insbesondere bei letzterem bin ich bekanntlich Zuhause.

Bei der kommenden Kommunalwahl stehe ich bereits auf zwei Listen zur Wahl, zum Ortsrat und zum Stadtrat. Ich wünsche mir, dass die Menschen mir eine Chance geben, mich fern der Kommentierung auch aktiv in politische Themen einzubringen. Das konnte ich ganz nebenbei schon schon in verschiedenen Wahlprogrammen tun, an denen ich inhaltlich mitgearbeitet habe. Für die Lokalpolitik, aber auch mit Blick auf die kommende Landtagswahl.

Meinen Ausflug in die Politik habe ich von Beginn an als ein Experiment bezeichnet. Experimente können auch schief gehen. Ob das so ist, oder ob ich mich auch in Zukunft bei den Grünen wohl fühle – ich kann das heute nicht sagen. Bislang fühlt es sich sehr richtig an, trotz der ungewohnten Situation im Wahlkampf auf Supermarktparklätzen für seine politischen Ideen einzustehen. Und es macht was, denn es ist wichtig sich selbst zu engagieren, wenn man die Dinge gestalten und verändern möchte. Hebel gibt es gerade bei den Parteien viele. Es liegt einzig und allein an Dir.

Also: Machen statt maulen!

Angst ist kein guter Ratgeber

Bestürzt verfolge ich seit Wochen die Berichterstattung in den Medien zur politischen Entwicklung in der Flüchtlingskrise. Auch in meinem Freundeskreis treffe ich auf zunehmend mehr Skeptiker in diesem Thema – zumeist von Menschen, die ich bislang nicht als fremdenfeindlich wahrgenommen habe. Dabei ist die zugrundeliegende Flüchtlingskrise aus meiner Sicht kein Thema, welches einen normal-empathischen Menschen unberührt lassen kann. Da flüchten viele Menschen unter dem Eindruck von Krieg und anderen Greueltaten aus zerstörten Gebieten unter teilweise extrem bedrohlichen Bedingungen in ein fremdes Europa. Nur, dass dieses Europa in der Flüchtlingskrise nicht eine einheitliche Sprache spricht. Eigentlich sollte es für einen Staatenverbund mit rund einer halben Milliarde Menschen nicht unmöglich sein eine vergleichsweise geringe Zahl an Flüchtlingen aufzunehmen und zu integrieren. Hier taucht aber schon das erste Problem auf, die meisten Staaten Europas entziehen sich dieser Verantwortung und wollen statt dessen lieber Zäune und andere Abwehrmöglichkeiten gegen diese Menschen errichten.

Jetzt kann man nicht behaupten, dass ich ein großer Freund der Politik Angela Merkels bin. In dieser Flüchtlingskrise machte sie das als eine der Wenigen bislang ziemlich gut. Sie widerstand bislang dem Wunsch ihrer Partei und dem der Schwesterpartei weiter nach Rechts zu rücken und Deutschland in eine Art neuen Nationalismus zu überführen. Das ist gut so. Zugleich sorgen verschiedene Strömungen, etwa durch die AfD oder den ungewöhnlich tölpelhaft agierenden bayerischen Ministerpräsident Horst Seehofer dafür, dass dieser Wunsch zur Kleinstaatelei sich in den Köpfen vieler Bürger breit macht. Zu viele Fremde, das kann nicht gut sein – auch noch Muslime, die entfremden unser Land. „Besser wir machen die Grenzen zu und überlassen diese Menschen sich selbst … wenn jeder an sich denkt ist schließlich für alle gesorgt“. Ich finde das unpassend, kaltherzig und schlicht nicht angemessen für eine der reichsten Nationen der Welt. So sehr uns die andersartig derer, die da kommen manchmal auch erschreckt, wir sollten nicht müde werden diese Menschen fair und human zu behandeln.

Alles soll so bleiben, wie es ist.

Vielleicht ist es die Rache der Merkel, die selbige nun einholt. Diese stets zaudernde, besitzstandswahrende und veränderungsunwillige Haltung, die passt vermutlich erschreckend gut zur aktuellen Haltung vieler Deutscher am rechten Rand des Wählerspektrums. Alles soll so bleiben wie es ist, war schließlich das lange gelebte Mantra der Staatsführerin. Bequem ist es dazu noch.

Uns allen ist bewusst, dass wir es uns alle nicht immer so einfach mit Veränderungen machen. Wer sich beruflich mit Innovationsmanagement beschäftigt, der kann ein Lied davon singen. Ab einem gewissen Punkt übernehmen vielschichtige Ängste die Kontrolle. Dagegen steht eine Leistung des Verstandes, die uns akzeptieren lässt, dass wir uns vielleicht doch mit dieser Veränderung auseinandersetzen müssen und dass vielleicht sogar Chancen darin verborgen liegen. Im aktuellen Fall der Flüchtlingskrise kommen weitere Faktoren dazu. Nachrichten wie die über die Silvesternacht in Köln und eine unglaublich schlechte mediale Aufbereitung der Ereignisse sorgen dafür, dass unsere natürlichen Wachsamkeits- und Misstrauensmechanismen gegenüber Fremden auf Alarmstufe Rot gefahren haben. Die sind nicht nur sehr viele, die sind auch noch böse. Die Gesellschaft beginnt an vielen Stellen unangemessen zu verallgemeinern. Da nehme ich mich selbst auch nicht aus. Man wird vorsichtiger und tritt den Menschen vielleicht nicht mehr ganz so optimistisch entgegen.

Versagen des Rechtsstaates?

Ursachen und Wirkung liegen nah beieinander. Viele der Straftäter aus Köln sind offensichtlich polizeibekannt. Der Rechtsstaat hat bei diesen Tätergruppen versagt. Geltendes Recht wird nicht durchgesetzt. Beteiligt sind Staatsanwälte, Richter, aber auch die ermittelnden Behörden. Diese Verhalten betrifft mitnichten nur ausländische Täter, fängt sich aber nun an doppelt zu rächen. Was soll schließlich passieren, wenn man viele junge Männer, auf zu geringem Raum, mit zu geringer Privatsphäre unterbringt? Ich würde behaupten, es ist nahezu egal, welche Nationalität diese Menschen haben – da kann nur Stress bei herauskommen. An dieser Stelle muss die abschreckende Wirkung der Gesetze dann so groß sein, dass unsere Kultur des Zusammenlebens stärker ist, als die entstehende Gruppendynamik samt Sozialisierung durch verbrecherische Banden. Geltendes Recht muss durchgesetzt werden. Allein diese Tatsache würde das etwas ins Wanken geratene Vertrauen in unsere innere Sicherheit deutlich stärken. Dazu gehört aber eben auch, dass keine Verallgemeinerungen zugelassen werden. Das wird den Menschen nicht gerecht.

Die Mammutaufgabe an unsere Gesellschaft lautet die Menschen in ihrer Mitte zu integrieren. Ihnen zu zeigen, wie wir zusammen leben und vor allem, wie wir zusammen leben wollen. Die Vermittlung der Werte unserer Gesellschaft. Dazu gehört auch als Gesellschaft bereits zu sein sich zu verändern. Verhindern können wir das eh nicht. Genauso wenig, wie der immobile Häuslebauer, in dessen Nachbarschaft nun eine Flüchtlingsunterkunft steht und der sein Betongold wertschwinden sieht. Wenn wir uns auf die Menschen zubewegen, wird es uns viel einfacher fallen diese in unserem Sinne zu beeinflussen, als wenn wir uns vor ihnen verstecken, unterschiedliche Gefühle der Angst kultivieren oder diese Menschen einkasernieren. Wer immer nur in Dimensionen der Angst lebt, der wird auch immer Angst haben. Das es auch anders geht zeigen zum Glück ganz viele Beispiele von ehrenamtlicher Arbeit in den vielen Einrichtungen in Deutschland. Wir brauchen Mut, Anpacken und Vertrauen einer freien Gesellschaft, um diese Leistung zu bringen. Inklusive der Bereitschaft uns weiter zu entwickeln. Jeden Tag, jeder von uns und in ganz Europa. Dafür sollten wir uns einsetzen!

Kommunikation unter Inkaufnahme möglicher Kommunikationsfolgen

Die von mir geschätzte Kerstin Hoffmann ruft zur Blogparade auf: Wie Kommunikationsprofis konstruktiv mit Kritikern, Querulanten, Pöblern umgehen. Klar, dass ich da mitmachen muss, schließlich kritisiere ich und werde kritisiert – beide Facetten gehören zum Repertoire der Kommunikation. Das kleine Wörtchen „konstruktiv“ macht vielleicht den Unterschied, wenn Kritik für Geber und Nehmer einen Sinn stiften soll. Was aber passiert, wenn ich selbst unkonstruktive Kritik erhalte, wie gehe ich am besten damit um?

Jeder von uns weiß, wie das ist. Das kleine Teufelchen auf der Schulter verführt uns all zu leicht zur Kritik. Nichts ist einfacher als sich spontan und unreflektiert über irgendjemanden oder irgendetwas aufzuregen. Je nach dem, wie ausgeglichen der eigene Charakter dabei ist und wie sehr man sich dabei emotional engagiert, passiert das mehr oder weniger intensiv. Flupp, rausgerotzt. Mitten ins Gesicht. Der befreiende Wind eines „Komm klar damit“ weht der Kritik hinterher und lässt nicht selten einen fragend blickenden Empfänger der Kritik zurück. Was war das? Was soll das? Ist das jetzt nötig gewesen? Genau an dieser Stelle kennen wir eine Menge stereotype Begründungen, warum die kritische Lautäußerung gerade jetzt wohl fallen musste. Das reicht von schlechter Laune bis hin zum leichtfertig formulierten (sexistischen Kackscheiß-)Verdacht einer monatlich wiederkehrenden hormonellen Schwankung. Das ist nicht sooooo konstruktiv.

Jede Kritik hat eine Ursache, eine Motivation. In den allermeisten Fällen bekommt man diese mitgeliefert: Wut, Uneinigkeit, andere Weltanschauung, allgemeine Unzufriedenheit, Not, eigene Positionierung, Defekt … die Liste lässt sich unendlich verlängern. Zugleich ist die Kritik eine einmalige Möglichkeit sich zu verbessern. Sogar dann, wenn sie völlig haltlos und aus heiterem Himmel erscheint. Daher versuche ich beim auftreten von Kritik die Motivation der Kritik zu ergründen. Wieso werde ich kritisiert und kann ich das beeinflussen, bzw. habe ich die Kritik selbst durch mein Denken oder Handeln ausgelöst? Das funktioniert ganz gut, wenn es eine bilaterale Kritik ist, also sich ein Kritikgeber konkret an einen Kritiknehmer wendet: „Da ist ein Fehler“, „Danke für den Hinweis, Sie haben recht“.

Ungleich schwieriger wird es, wenn die Kritik eher generell und wenig speziell ist. Das erleben wir beispielsweise gerade im Umfeld der Medien- und Politikkritik rund um die Flüchtlingskrise. Da geht es um Weltanschauungen, um Dinge, die man nicht einfach reparieren kann. Es geht darum, wer Macht hat und diese am anderen ausüben darf, ziemlich niedere Formen der Kommunikation unter Inkaufnahme möglicher Kommunikationsfolgehandlungen. Hier wird es schwierig, da wir uns hier ganz schnell in den Bereich der Strafgesetzgebung verirren. Wir beobachten das gerade insbesondere bei Facebook unter der Überschrift „Hatespeach“ oder auf Deutsch Hasskommentare. Ganz oft meint der Kritiker oder Hater oder Troll gar nicht mich mit seinem Erguss, vielmehr instrumentalisiert er meine Öffentlichkeit und versucht diese für sich selbst und seine kruden Ansichten zu verwenden. Im Community Management kennen wir zum Glück einige Umgangsmöglichkeiten auf dieses Verhalten. Diskussion mit der Absicht der Einsicht ist ein Weg, häufig aber völlig Folgenlos. Andere Mittel, wie Sperren und Löschungen erscheinen vor diesem Hintergrund deutlich effektiver und werden inzwischen auch sehr oft angewandt. Der Weisheit letzter Schluss ist das sicher noch nicht.

Vielleicht liegt in der derzeitig geführten Hass-Debatte das Problem einfach auf einem anderen Level und unsere Gesellschaft muss erst einmal ihre Werte neu definieren. Hier könnte Politik sich einbringen und Dialog anbieten ohne das Ergebnis vorweg zu nehmen, zuhören, statt zu belehren. Dazu braucht es Geduld, Toleranz und die Bereitschaft selbst zu lernen. Und genau so handhabe ich es für mich selbst. Wenn ich kritisiere, bin ich bereit zu lernen. Manchmal muss ich dabei feststellen, dass meine Kritik unberechtigt war. Ab diesem Moment wird Kommunikation nicht unbedingt einfacher, könnte aber mit einer Entschuldigung beginnen.

Auf geht’s, lasst uns lernen.