„Uns Deutschen geht es doch gut“, hört man in den letzten Tagen immer wieder die Vertreter der Union sagen. „Uns geht es so gut wie nie“. Die Wirtschaftszahlen sprechen da eine klare Sprache und bestätigen diese Aussage durchaus. Niedrige Arbeitslosenquote, wiederholt einen ausgeglichenen Haushalt, wachsende Wirtschaft.

Auf der anderen Seite bemerken wir Strömungen in unserer Gesellschaft, die diese optimale Betrachtung nicht teilen. Im Bundestag gibt es immer wieder Reden, die darauf hindeuten, dass doch nicht alles in Butter ist. Hier sind gerade die kleinen Parteien der Opposition zu hören. In den Landtagen bemerken wir zunehmend die Teilnahme einer neuen Partei, die mit destruktiven Gebaren ebenfalls auf großer Unzufriedenheit im Volk aufsattelt. Diese Partei bedient recht wirkungsvoll die Sehnsucht danach, die Zeit etwas zurückzudrehen. Es reicht doch aus, wenn wir unsere Geschäfte in unseren Landesgrenzen abwickeln und die Fremden vor der Türe stehen lassen.

Wie passt das zusammen, diese großen Erfolgsmeldungen auf der einen Seite und diese große Unzufriedenheit auf der anderen Seite. Vielleicht hat das hat etwas mit der Brille zu tun, durch die wir die Szenerie betrachten?

Stelle ich mir vor, ich bin Bundeskanzlerin, dann habe ich ziemlich viel um die Ohren. Da macht es schon aus zeitökonomischen Gründen Sinn, mich mit eher wenigen, dafür gut wirkenden Multiplikatoren zu beschäftigen. Großunternehmen zum Beispiel. Dieser Marktkonformismus hat die Idee, das es allen gut, wenn es nur der Wirtschaft gut geht. Unserer Wirtschaft geht es derzeit gut.

Wir haben eine große Vertrauenskrise in die politische Führung

Erst vor kurzem habe ich auf Facebook eine ausführliche Diskussion dazu geführt. Die Vertrauenskrise in die Politik betrifft nicht mehr nur einzelne Politiker, sondern den Berufsstand an sich. Der Vorwurf lautet zum einen auf persönliche Vorteilsnahme jenseits der ethisch akzeptierten Grenzen. Das ist einfach nachvollziehbar. Politik hat auch immer eine Vorbildfunktion. Zum anderen lautet der Vorwurf, dass die Politik an den Bedürfnissen des Volkes vorbeiregiert.

Merkels Perspektive ist ein grundsätzlich andere, eher an Rahmenbedingungen orientierte. Die großen Unternehmen werden es schon richten. Die Idee an sich ist nicht mal verwerflich. Sie setzt aber voraus, dass diese Unternehmen langfristige Strategien verfolgen. Ein schwer lösbarer Konflikt offenbart sich, wenn man bedenkt, dass die Manager dieser Unternehmen an kurzfristigen Erfolgen gemessen werden.

Wir erleben das, wenn es reizvoller ist über Austricksen und Betrug zu einem guten Wirtschaftsergebnis zu kommen, als über die Tugenden des ehrlichen Kaufmanns. Wir erleben es, wenn es durch massive Beeinflussung der Meinungsbildung von politischen Entscheidern zu eigenartigen Stilblüten kommt. Wir erleben es, wenn es Unternehmen völlig egal zu sein scheint, was sie in der Gesellschaft anrichten. Diese Phänomene ziehen sich durch nahezu alle Branchen: Automobil, Chemie, Landwirtschaft, Nahrungsmittel und viele andere.

Ich frage mich, wie schlau es ist unter diesen Vorzeichen des Wunschs nach schnellen Erfolg, genau diesen Unternehmensvertretern die Verhandlungshoheit über Staatsverträge von #TTIP, über #Ceta bis #TISA in die Hand zu geben?

Ein neugieriger Perspektivwechsel ist dringend notwendig

Setze ich eine andere Brille als die von Frau Merkel auf, sehe ich vielleicht, dass die Menschen gerne in einer funktionierenden Natur leben wollen. Dass sie nicht wollen, dass Kinder durch Umwelteinflüsse krank werden. Ich sehe vielleicht, dass Zeitverträge dafür sorgen, dass das gesamte Thema Familienplanung auf wackeligen Füßen steht. Vielleicht sehe ich sogar die große Unsicherheit in den Zukunftsvisionen dieser Menschen. Ich sehe unzureichend gelöste Themen, wie Armut, Arbeitslosigkeit und Rente – ausgelöst durch einen demographischen Wandel, der nun mit großer Ungerechtigkeit zu Wirken beginnt. Ich sehe vielleicht, dass der Protektionismus von sterbenden Geschäftsideen nicht dafür sorgen wird, dass diese Unternehmen im Weltmarkt der Zukunft eine Rolle spielen. Ich erkenne vielleicht, dass die Verhandlungspartner der Industrie eben nicht nachhaltig agieren. Da geht es um Opportunismus und das kann ich sogar verstehen. Ich kann durch die andere Brille vielleicht erkennen, dass mir diese Entwicklungen auf die Füße fallen werden.

Eine große Koalition hat immer die Chance die großen Themen anzufassen. Das ist die Erwartungshaltung der Leute. Leider hat die große Koalition nicht geliefert, sondern sich auf den guten wirtschaftlichen Kennzahlen ausgeruht – marktkonforme Demokratie nennen sie das in Berlin. Eine schwarze Null wird trotz so fantastischer Rahmendaten ertrickst, zu Lasten derer, die den entstehenden Investitionsstau dann auffangen müssen. Das ist schlicht unfair. Eine Ohrfeige für alle jene in Berlin, die eigentlich als Anwalt der Zivilgesellschaft an langfristigen und nachhaltigen Lösungen für unser Land arbeiten sollten. Da hilft eine zauderliche und uninspirierte Kanzlerin wenig. Da hilft ein Vizekanzler, der alle 5 Minuten seine Meinung verändert noch weniger. Da hilft es überhaupt nicht, dabei zuzusehen, wie der einst so gesunde Mittelstand sich von der Form einer Zwiebel in Richtung der Form einer Sanduhr mit starken Polen aus Armen und Reichen verändert.

Ganz im Gegenteil. Es braucht unbändigen Mut die großen Lösungen anzugehen. Mut, die Systeme nachhaltiger aufzustellen, eine höhere Gerechtigkeit zu erzielen. Dazu braucht es progressive Politik und exzellente Kommunikation. Wenn man das alles unter einen Hut bekommt, dann geht es uns wirklich gut. Und dann haben auch diese kleingeistigen Lichter an den den Rändern der Gesellschaft keine Substanz.

Disclaimer: Ich persönlich finde es wichtig, mehr als einen Standpunkt zu betrachten und Strategien zu entwickeln, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Das hat mich politisiert. Ich habe das große Glück mit dieser Sicht auf die Dinge jetzt als überzeugter Grüner Direktkandidat für den Bundestag im Wahlkreis 47 Hannover-Land II antreten zu dürfen.