Des Deutschen neues liebstes Hobby ist das Protestieren, könnte man meinen. Ursache diese Wahrnehmung sind aktuell zwei starke Protestlager mit dauerhafter Medienpräsenz. Die immer mal wieder protestierenden Anhänger der verschiedenen Gewerkschaftsorganisationen mal ganz außen vor gelassen.
Aktuelle Brennpunkte: „Stuttgart21“ und „Atomstrom“
In Stuttgart lockt der grad begonnene Umbau des Bahnhofs eine lautstarke Protestgemeinde auf die Straße. Ursache: Ein als Milliarden-Projekt getarnter Umbau des Bahnhofs vom überirdischen Kopfbahnhof zum unterirdischen Durchgangsbahnhof als Bestandteil eines regional abstrahlenden Projekts der staatseigenen Deutschen Bahn. Gegner und Befürworter des Mammutprojekts zetern dabei gleichermaßen am Bauzaun (Siehe bspw. K21 – Ja zum Kopfbahnhof und Bahnprojekt Stuttgart-Ulm), wenngleich man den Stuttgart21-Gegnern etwas mehr Dezibel und etwas mehr Medienwirksamkeit nachsagen kann. Ein heißer Tanz mit Trillerpfeiffen und dem Wissen darüber, seine Freizeit in den Dienst einer guten Sache gestellt zu haben. So oder so.
Das andere Thema ist bereits seit vielen jahren ein Dauerbrenner: Atomstrom und seine Folgen. In Berlin wird das Regierungsviertel am 18.9.2010 von einer Anti-Atom-Demo mit vielen Tausend Protestlern heimgesucht (Die Veranstalter sprechen von über 100.000 Teilnehmern). Ein laut donnerndes und weithin vernehmbares Statement in der deutschen Medienlandschaft, das weit mehr Unterstützer haben dürfte als jene, die in Berlin protestierten, trommelten, tanzten und sangen. Als Niedersachse kennt man das sowieso, denn im Wendland protestiert man seit eh und jeh wegen der Atomabfälle. Das nun sogar in der etwas entfernten Landeshauptstadt Hannover. Dort wird der eigentlich atomfeindliche „Grüne“ Jürgen Trittin auf einer friedlichen Protestveranstaltung von einem als Vermummten verkleideten unfriedlichen Protestler zum Zeichen des Protests mit einer Torte beworfen (Artikel: Trittin-Torte war mit Joghurt gefüllt). Das wiederum ruft neuen Protest auf den Plan, dient aber nicht unbedingt der Sache. Zumal der gemeine Grüne ja so oder so gegen den Atomstrom ist. Dieser nicht unbedeutende Fakt schlägt sich auch in aktuellen Umfragewerten nieder. So haben die Grünen grad ein Allzeithoch zu vermelden. Immerhin 24 % der Wählerstimmen dürften die Grünen erwarten, wäre grad zufällig eine Bundestagswahl (siehe: Berliner Umschau – Die grüne Volkspartei?). Das ist immerhin genau so viel, wie die „große“ SPD am Wahltag zu erwarten hätte.
Nicht vergessen möchte ich den überleitenden Hinweis, dass sie die Grünen neben dem Engagement für den Atomausstieg ebenfalls in Stuttgart beim Bahnhofsprotest engagieren (Siehe: Grüne gegen Stuttgart 21).
Protest reinigt
Es gibt diese schöne Weisheit „ein Gewitter reinige die Luft“. So ähnlich läuft das wohl auch mit einem Protest. Durch einen Protest oder die Summe vieler Proteste werden wichtige Themen für die politische Führung besser sichtbar. Die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke als Beispiel stand zwar schon in den Parteiprogrammen zu Bundestagswahl, war aber nicht das Thema eines zu diesem Zeitpunkt von der Wirtschaftskrise gebeutelten Landes. Heute ist die Wirtschaftskrise nicht mehr so präsent und das damit verbundene Primärbedürfnis nach wirtschaftlicher Sicherheit nicht mehr so präsent. Also ist der Blick wieder frei für die anderen wichtigen Themen. Genau die, die man als politisches Gewissen bezeichnen könnte – also künftige Generationen betreffen. Wieviel Atom verträgt unser Planet? Und vor allem, wo lagert man das Zeug ein, bis es nicht mehr gefährlich ist? Das dauert bei Plutonium rund 240.000 Jahre (Quelle: Wikipedia). Mit der Folge: Die Angst vor der unsichtbaren Gefahr ist überall zu spüren. Auch, nachdem Brände in Russland drohten den Atomstaub von Tschernobyl erneut aufzuwirbeln und so ein zweites Mal für einen radioaktiven Supergau durch das explodierte russische Atomkraftwerk zu sorgen.
Die Wirtschaftskrise hat auch einige solcher Themen in Petto. Meist haben die mit fehlender Ethik, Milliardenbeträgen und Immobilien zu tun. Erkennen Sie evtl. an dieser Stelle Parallelen mit Stuttgart 21? Auch hier geht es ja nicht nur darum, dass dies Projekt nicht eh schon teuer wäre. Vielmehr drohen immense Mehrkosten, die mit der Steuerlast künftiger Generationen steuerzahlender Arbeitnehmer verrechnet werden müssten.
Der nächste Schritt: Vom regionalen oder nationalen zum Internationalen Protest
Die Wirtschaftskrise hat uns gezeigt, viele kritische Themen sind bereits heute von internationaler Bedeutung. Das gilt vielleicht nicht konkret für ein schwäbisches Bahnhofsprojekt. Es gilt aber im ethischen Sinne und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für die Problematik in Umgang und Lagerung von Atomabfällen. Unmittelbar damit verbunden sind nahezu alle Energiethemen, also auch der steigende Bedarf an fossilen Brennstoffen. Weltweit gilt es sich zügig über den Aufbau einer funktionierenden und nachhaltigen Infrastruktur für die Energiegewinnung aus erneuerbaren Energiequellen Gedanken zu machen.
Den Druck hoch halten
Protest ist ein gutes Mittel den Druck auf die Regierungen zu erhöhen. Er ist ein gutes Mittel dem Lobbyismus den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zusätzlich ist Protest ist ein hervorragendes Mittel für den gezielten Aufbau von Handlungsdruck. Schafft es ein Protestgedanke über einen längeren Zeitraum Massen zu bewegen, dann werden scheinbar unerreichbare Ziele möglich. Das lehrt der Blick in die Geschichtsbücher und das sollte Motivation geben.
Eine große Chance ist die Möglichkeit, Informationen dank der die modernen Medien immer besser zu verbreiten. Protestbewegungen können heute quasi im Eigenverlag eine große Reichweite auf der Basis von relevanten Themen erzielen. Die Abhängigkeit von den mit Politik und Wirtschaft verwobenen Massenmedien sinkt dadurch. Mit dem Effekt, dass bspw. Forschungsergebnisse ungefiltert publiziert werden können und hinter einem Protest eine informierte Gruppe an Menschen steht. Auch politisch unangenehme Themen und höchst verschwörerische Geheimnisse können durch diese Vernetzung und Reichweite immer schlechter im Verborgenen gehalten werden. Der Bürger kann sich, wenn er will, wirklich eine eigene Meinung bilden. Und genau das sollten wir kultivieren: Protest auf der Basis valider Informationen.
Dafür!