Vor kurzer Zeit habe ich an dieser Stelle über steigende Protestbereitschaft geschrieben. Inzwischen haben die Ereignisse rund um Stuttgart21 mir leider Recht gegeben. Weitere Proteste drohen zu dem im Wendland rund um das Thema Gorleben und Castortransporte. Grundsätzlich finde ich die Bereitschaft zum friedlichen Protest wichtig. Wurde in der Vergangenheit vieles einfach hingenommen, so wird die Zahl derer, die fragwürdige politische Entscheidungen hinterfragen wollen größer. Das politische Engagement steigt – eigentlich eine Situation, die sich Parteien seit vielen Jahren wünschen.
Meinungsbildung ist fast unmöglich
Die Situation um Stuttgart21 zeigt einen deutlichen Verlust an Vertrauen in die politische Führung. Wäre eine klare Sachlage mit verfizierbaren Pro- und Kontra-Argumenten vorhanden, ließe sich eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen in der sorgsam zwischen Nachteilen und Vorteilen abgewägt würde. Nun ist es nicht so, dass ein Milliardenprojekt wie Stuttgart21 sich einfach auf eine handvoll Argumente reduzieren ließe. Daraus leitet sich fast zwangsläufig ein unklares Meinungsbild ab, dass bei den wenigsten ein klares Ja oder Nein produzieren kann. Es entsteht zwangsläufig Unsicherheit, die eher die Zweifler nährt, wenn man nicht offen damit umgeht. Schließlich geht es hier um ein Milliardenprojekt, bei dem eine Menge Steuergelder zum Einsatz kommen sollen.
Vertrauen in die Führung fehlt
Menschen, die sich mit dem Projekt Stuttgart21 beschäftigen, finden selbst in den Medien eine diffuse Nachrichtenlage. Da gibt es eine Menge Visionen, Pläne, Argumente und Gegenargumente. Fast überall steht jedoch geschrieben, dass die Kalkulation der Baukosten auf sehr wackeligen Beinen zu stehen scheint. Ein wichtiges Argument in Zeiten, in denen gerade erst durch Milliardenhilfen für miese Bankgeschäfte unser Land und damit der Steuerzahler stark belastet wurde. Es scheint fast sicher, dass Stuttgart21 hier nahtlos anschließen möchte und weitere Milliardenlöcher in den Haushalt frisst. Doch Politik und Bahnführung wollen genau an diesem neuralgischen Punkt nicht mit Transparenz aufwarten. Vielmehr soll das Prestigeprojekt nun scheinbar mit Gewalt realisiert werden, so verfestigt sich der Eindruck.
Ministerpräsident Mappus macht in diesem Spiel eine ebenso unglückliche Figur, wie Bahnchef Grube. Statt durch möglichst große Transparenz viele Gegenargumente zu entkräften, wird den staatlichen Säbeln gerasselt. Eine Strategie, die spätestens seit den polizeilichen Gewalteskapaden im Stuttgarter Schlosspark gescheitert ist. Jedoch ist keine ministeriale Einsicht zu erkennen. Mit der Folge, dass aus einer reinen Diskussion über einen Bahnhof inzwischen eine bundespolitische Diskussion über die Demokratie wurde. Und diese Diskussion verweist zu gern auf das mangelnde Vertrauen in die politische Führung in Berlin, die sich zu allem Überfluss seit Beginn der aktuellen Legislaturperiode besonders stark mit Vorwürfen des Lobbyismus, der Klientelpoltik und Vetternwirtschaft belastet sieht.
Für eine klare Meinung braucht es Transparenz
Die Bundesregierung, die Landesregierung in Baden-Württemberg und auch der Vorstand des Staatskonzerns Deutsche Bahn sind jetzt gefordert die notwendige Transparenz zu erzeugen. Das sollte keine künstliche Meinungshoheit durch bezahlte PR sein. Vielmehr sollte ein nachvollziehbarer und ehrlicher Prozess der Projektbewertung neu beginnen. Was ist dran an den Argumenten beider Seiten? Wie steht es tatsächlich um die Zahlen? Wie solide wurde kalkuliert, auch unter Betrachtung bestehende Erfahrungswerte? Kann und sollte sich Deutschland so ein Projekt zu diesem Zeitpunkt leisten? Ist es klug, trotz existierender rechtlicher Legitimation in der Vergangenheit das Vertrauen in die Demokratie durch politische Ränkelspielchen zu gefährden? Wurden Alternativen wirklich erfasst und schlüssig bewertet?
Heiner Geissler ist hier gut und mutig in die Vorlage gegangen. Solange keine inhaltliche Transparenz herrscht, ist auch keine Einigung zu erzielen und jeder Kompromiss wird den Beigeschmack eines faulen Kompromisses besitzen. So lange weiter Fakten durch eine Fortführung der Bauarbeiten geschaffen werden, werden sich Menschen ungerecht behandelt fühlen. Und wenn Menschen zu sehr Ungerechtigkeit empfinden, dann gehen sie auf die Straße. Dort kann man ihnen mit Gewalt und Zwang begegnen oder man beschäftigt sich ganz ernsthaft mit den Auslösern dieses Empfindens. Durch ergebnisoffenen Dialog mit Transparenz, Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit.
Der Letzte macht das Licht aus.