Ein großes Dilemma unseres Parteiensystems ist eine Art politischer Farbenblindheit. Die erlaubt es den Parlamentariern nur gewisse Positionen einzunehmen. Nach Möglichkeit eine andere als die der Anderen. Wer also ein Roter ist, wird niemals was toll finden dürfen, was sich da ein Schwarzer ausgedacht hat. Oder andersrum. Oder auch mit Gelb, Grün und den anderen politischen Farben. Da geht es um Lagerkämpfe, um parlamentarische Mehrheiten und Fraktionszwänge, aber leider selten wirklich um die Sache. Es wirkt manchmal so, als sei der Pokal fürs gewinnen einer parlamentarischen Diskussion größer, als der für eine gute Lösung. Und selbst, wenn dann tatsächlich mal die vermeintlichen Experten in den Kommissionen aufeinandertreffen, hört dieses Verhalten nicht auf. Abgrenzung ist Trumpf. Gerne auch wider besseren Wissens. Und es ist egal, welches Thema dabei auf der Tagesordnung steht. Das kann die Enquete-Kommission zum Internet sein oder der Euro-Rettungsschirm. Hier ein paar Artikel zur Equete-Kommission, die das Problem verdeutlichen: Süddeutsche, Netzpolitik.org, Handelsblatt, CT und Taz.
Verfall von Moral und Sitten
Schaut man sich das politische Geschäft in Bundestag und den Landtagen an, so kann man aus meiner Sicht einen langsamen Verfall von Moral und Sitten ausmachen. Es fehlt proaktives agieren, das sich wirklich um hervorragende und zukunftsfähige Lösungen bemüht. Ein Problem, dass aus dem Verhalten der politischen Führung entstanden ist. Der Fisch stinkt vom Kopfe her oder anders ausgedrückt: Wenn schon die Führung unter der Gürtellinie spielt, warum sollten es die anderen nicht auch tun.
Wo sind die Politiker, die noch wirklich den Wunsch haben etwas zu bewegen. Wo sind jene, die noch nicht von den politischen Mühlen bis zur Gleichgültigkeit zermahlen wurden? Man findest sie wohl am ehesten in den kleinen Parteien, bei denen, die unangepasst und voller Idealer für Dinge stehen. Das waren früher mal die Grünen (inzwischen sind die wohl auch in der politischen Realität angekommen) und sind heute vielleicht die Piraten, wobei letzteren in meiner Betrachtung ein wenig die Seriosität abgeht. Aber es sind eben jene, die unangepasst und schwierig nicht jeden Scheiß abnicken, den die Großkopferten der Politik verzapfen. Es sind jene, die mit frischen Ideen den politischen Betrieb aufmischen und vielleicht auch bei den etablierten Parteien irgendwann mal wieder die Erkenntnis reifen lassen, dass es wirklich Werte gibt, für die man stehen kann. So haben es die umweltpolitischen Grundgedanken der Grünen inzwischen in fast alle Parteibücher geschafft. Hat ja nur einige Dekaden und ein Atomunglück gedauert.
Auf dem Weg zum Polizeistaat
Aktuelle Entwicklungen der Demokratie machen eigentlich Angst. Wie bereits in vielen Diktaturen zu beobachten war, steigt auch in demokratische regierten Ländern der Wunsch nach Kontrolle über das Volk. Freie Meinung ist eigentlich gar nicht so schick. Unangepasstes Verhalten noch weniger. Der Wutbürger macht sogar Angst. Und Fremde aus anderen Ländern erst recht. Die wollen bloß den Reichtum dieser Musterdemokratien abgreifen. Was wiederum noch mehr staatliche Kontrolle nach sich zieht. Und dabei zeigt sich ja gerade recht deutlich, dass diese Musterdemokratien ganz schön arg auf Pump agiert haben und immer noch agieren. Eine globale Staatsschuldenkrise steht vor der Tür und macht auch nicht vor Deutschland oder den USA halt. Und wenn das mit dem Wohlstand nicht so weitergeht, dann drohen wohl größere soziale Unruhen. Das muss man frühzeitig gut kontrollieren. Ganz nebenbei wurde aus dem Kontrollwesen ja auch noch ein eigenes Profitcenter. Moderne Wegelagerei und staatlich legitimierte Abzocke sind nicht nur bei Autofahrern ein Thema. Auch hier steht vielerorts der finanzielle Ertrag vor Anstand und Moral. Leider ist dieses Verhalten in der Summe eine Einbahnstraße, die am Ende sogar das Modell der Demokratie gefährden kann. Es bedeutet mehr und mehr Kontrolleure, Polizei und Überwachung. Und in der Folge zunehmende Unfreiheit.
Politischer Frühling für Deutschland?
Was wir derzeit in Ägypten, Tunesien und auch Libyen sehen sind Reaktionen auf staatliches Versagen. Auch, wenn ich unsere Regierung nicht mit einer Diktatur vergleichen möchte. Aber es gibt methodische Parallelen. Ein totalitäres System baut ebenfalls auf intensive Kontrolle. Willkürliche anmutende Regeln werden mit staatlichen Machtdemonstrationen durchgesetzt. Schaut man hier im Land nach Stuttgart, hat man eine ähnliche Situation, auch, wenn der vorhergehende Prozess natürlich hochgradig demokratisch legitimiert (und verlangsamt) wurde. Aber auf einmal stehen sich normale Bürger und eine Polizeiübermacht gegenüber. Warum? Es wurden grundsätzliche Funktionsweisen der gesellschaftlichen Kommunikation missachtet. Prozesse sind so langwierig, das heutige Generationen mit dem Ursprung nichts mehr zu tun haben. Und trotzdem ruht man sich in der politischen Führung darauf aus. Frei nach: Das wurde so beschlossen, das müssen wir so machen. Und eine Deutsche Bahn darf dabei den argumentativen Bösewicht spielen – wiederum gelenkt von politischen Strukturen. Aber die Zeichen der Zeit sind schwer zu lesen.
Das macht müde, mürbe und nimmt die Aussicht auf eine lebenswerte Zukunft. Das Korsett der Regeln ist jetzt schon sehr eng. Und wenn das so ist, spätestens dann wird es Zeit für etwas Anstand, Moral und politischen Idealismus. Und dabei bitte den politischen Frühling nicht mit Frühjahrsmüdigkeit verwechseln.