Komfortzone große Koalition

Da liegt er jetzt seit einigen Tagen auf dem Tisch, der Koalitionsvertrag zwischen SPD, CDU und CSU. Aus genau einer Sicht enttäuscht er nicht: Niemand muss wirklich die Komfortzone verlassen! Nicht einmal die Basis der SPD, die diesen Vertrag in der Mitgliederbefragung vermutlich durchwinken wird – auch, wenn es innerhalb der Partei deutlich vernehmbare Gegenstimmen gibt, wie bspw. die der JUSOS. Wie soll sich die Partei nun verhalten? Nur in der Regierung hat sie überhaupt die Möglichkeit das politische Geschehen aktiv mit zu bestimmen. Diese Argumentation ist nicht von der Hand zu weisen. Legitimiert sie auch den Koalitionsvertrag in der vorliegenden Version?

Deutschland droht die schlechteste Bundesregierung aller Zeiten

Ich gebe zu, diese Überschrift ist zunächst nur plakativ. Dennoch gibt es verschiedene Indikatoren die dafür sprechen, dass es vielleicht doch so kommen wird. Eine Regierungskoalition aus SPD, CDU und CSU hat mit 504 von 631 Stimmen im neuen Bundestag eine absolut dominierende Position. Die Opposition aus Grünen und Linken wird kaum notwendige Mehrheiten zusammen bekommen, um eine wirkungsvolle Kontrolle des Parlaments zu gewährleisten. Zugleich bietet diese Stimmmacht die einmalige Chance Dinge wirklich anzugehen. Die zwei Seiten einer Medaille – Chance und Missbrauch.

Schaut man in den Koalitionsvertrag und die dort festgehaltenen Vereinbarungen, ist nicht davon auszugehen, dass die kommende Regierungskoalition tatsächlich die Chance nutzen möchte dringend notwendige Entscheidungen aktiv anzugehen. Zumindest nicht die, die man unter diesen Bedingungen angehen könnte, hier sei nur eine große Steuerreform genannt. Dabei trägt der Koalitionsvertrag die markante Überschrift „Deutschlands Zukunft gestalten“. Es hat jedoch bei genauerer Betrachtung den Anschein, als solle man besser den Begriff „gestalten“ durch den Begriff „verwalten“ ersetzen. Ein Eindruck, der sich ja leider insgesamt wie ein roter Faden durch die Kanzlerschaft Merkel zieht.

Die Chance könnte sein, dass wir alle überrascht werden und es doch ganz anders kommt. Blickt man in die vergangene Legislaturperiode und den dazugehörigen Koalitionsvertrag, stellt man aber fest, dass nur wenige der dort festgehaltenen Vereinbarungen tatsächlich realisiert wurden. Ein Charakterzug, der wir vermutlich auch in den kommenden Jahren erleben werden, da sich das wesentliche politische Führungspersonal in Form der Kanzlerin ja nicht ändert. Die Wette stelle ich hier und heute in den Raum!

Worüber haben die Parteien im Wahlkampf gesprochen?

Es gab verschiedenen Themen die den Wahlkampf und auch die Koalitionsverhandlungen bestimmten. Die SPD kämpfte um die Wählergunst mit der Absicht einen flächendeckenden Mindestlohn einzuführen. Gute Arbeit (was auch immer das ist) solle sich lohnen. Eine durch und durch sozialdemokratische Position, die dem Markenkern der SPD gerecht wird. Daneben wurde der SPD im Wahlkampf vorgeworfen einen Umverteilungswahlkampf zu betreiben. Ursache dafür war die Idee, höhe Einkommen stärker zu besteuern als bisher .

Die CDU warb mit der Kanzlerin, dem Wirtschaftsaufschwung und dem Versprechen auch in Zukunft den Wohlstand des Landes zu sichern. Steuererhöhungen wurden abgelehnt und ein Mindestlohn sollen die Tarifparteien selber aushandeln. Auch bei der CDU steht der Begriff der guten Arbeit die sich lohnen muss auf den Wahlplakaten. Insgesamt ein wirtschaftsnaher Wahlkampf, der ebenfalls den Markenkern der CDU trifft.

Die CSU macht am meisten mit der sogenannten Ausländer-Maut auf sich aufmerksam. Nun. Immerhin ein Thema, dass dank dem Engagement von Horst Seehofer auch in den Koalitionsverhandlungen eine wahrnehmbare Rolle spielt.

Worüber Parteien besser sprechen sollten!

Worüber sollten die Parteien wirklich sprechen? Ich habe mir dazu folgende Gedanken gemacht.

Arbeit und Soziales: Die Erkenntnis, dass einige Fehlentwicklungen aus der Agenda2010 einer Korrektur bedürfen ist in den großen Parteien gleichermaßen erkennbar gewesen. Fehlentwicklungen bspw. im Bereich der Leiharbeit oder bei den prekären Arbeitsverhältnissen sollten also in der kommenden Regierung schnell und wirksam bereinigt werden. Hohe Priorität.

NSA-Affäre: Ein Themengebiet, dass eher von tollpatschigen und wenig aufklärungswilligen Ministern, denn von aktiver Aufklärung geprägt ist. Wir bekommen dank des mutigen Aktes von Edward Snowden mehr und mehr einen Eindruck darüber, wie sehr die Geheimdienste, allen voran die der USA, in unsere Privatsphäre vordringen. Unterstrichen wird dies bspw. durch die Erkenntnis , dass nur vom NSA rund 5 Milliarden Datensätze zu Bewegungsdaten anhand von Mobiltelefonen erhoben werden. Das „Land of the freedom“ mutiert mehr und mehr zum gierigsten Datensammler weltweit. Auch das EU-Mitglied Großbritannien steht dem kaum nach. Ausspähen unter Freunden: Ehrensache. Unklar sind immer noch die Kooperationen mit dem BND, die möglicherweise überhaupt erst einen Zugang zu deutschen Daten ermöglichen. Im großen und im ganzen ein Thema in dem mutiges und entschlossenes Vorgehen gegen ausländische Aggression gefragt wäre. Ein Thema, dass die Demokratie in sich massiv bedroht. Als das Handy der Kanzlerin als Ziel der Spähattacken bekannt wurde zuckte kurz ein Handlungswille auf. Ein Strohfeuer, das heute schon wieder von gestern ist. Unter anderem die Deutsche Bundesregierung blockiert eine neue EU-Datenschutzverordnung. Insgesamt macht sich die Koalition eher zum Gehilfen dieser Strategien, denn zu einem Verteidiger von Privatsphäre und Meinungsfreiheit. Unterschätzt wird dabei der Vertrauensverlust in jegliche Form der elektronischen Kommunikation – mit Folgen für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Dieses Thema sollte allerhöchste Priorität haben!

„Bildung“ eines modernen Wertgefüges: Wie können dafür Bildungskonzepte der Zukunft aussehen? Wie schafft man eine selbstbewusste Gesellschaft die in der Lage ist, sich selbst mit Problemen auseinanderzusetzen, ohne hierbei auf staatliche Regulierung zurückgreifen zu müssen. Hierzu habe ich einen schönen Text „Über die Lust der Deutschen, Vorschriften zu befolgen“ gefunden. Ich rechne diese Lehre der Freiheit ganz klar dem Bereich Bildung zu, da mit der Bildung auch ein Wertegerüst vermittelt wird, dass uns eben das gelernte in einen Kontext setzen lässt. Nur so kann man die Staatsquote irgendwann einmal reduzieren. Neben der Wissensvermittlung gehört dazu die Lehre im Umgang mit Menschen, Meinungen, Rohstoffen und Kapital. Die EU-Schuldenkrise vermittelt an erster und offiziellster Stelle eine fatale Lehre. Am Ende steht der besser da, der immer am Limit lebt. Der, der spart ist dagegen der Gelackmeierte, da er von seinem Ersparten für jene aufkommen soll, die eben genau anders agiert haben. Hier sollte eine wache Regierung schnell und wirksam das Wertegefüge korrigieren. Dazu gehört natürlich auch, selbst nicht über seine Verhältnisse zu leben.

Verschuldung: Im Koalitionsvertrag wurden Mehrausgaben in Höhe von 23 Milliarden Euro verabschiedet. Diese sind über eine Wette auf die Zukunft finanziert. Diese Wette setzt auf eine wachsende Konjunktur. Kann aufgehen, muss aber nicht. Bestes Beispiel dafür ist die vergangene Legislaturperiode mit einer Verschuldung von über 40 Milliarden Euro. Hier wird leichtfertig auf Kosten der folgenden Generationen über die Verhältnisse gelebt. Das ist heute bequem, aber eben nicht besonders schlau. Daneben schaffen es gerade die Konzerne durch Buchhalterische Tricks ihre Steuerlast auf kaum noch nennenswerte Beträge zu reduzieren. Die Hauptsteuerlast wird vom Mittelstand erbracht, die Politik jedoch eher für die Konzerne betrieben. Hier bedarf es schnell großer Korrekturen. Das kann nur über eine umfassende Steuerreform funktionieren, die nun schon seit rund 3 Dekaden gefordert aber nicht umgesetzt wird. Übrigens war sie auch im Koalitionsvertrag der Vorgängerregierung verankert. Satt also einfach weiter mehr Geld auszugeben, sollte man sich dringend Gedanken über das Gesamtsystem machen. Bereits heute betragen die Schulden erschreckende 12,09 % des Gesamthaushalts. Immerhin die zweitgrößte Haushaltsposition.

Das Ziel kann also nur lauten die Staatsquote senken zu wollen – ohne dabei jedoch notwendige Ausgaben im Sozialen aus den Augen zu verlieren. Eine anspruchsvolle Aufgabe, die nur das allerbeste Personal verdient!

Zukunft: Komischer Weise spielt die Zukunft im vorliegenden Koalitionsvertrag kaum eine Rolle. Das, obwohl er die Überschrift „Zukunft gestalten“ im Titel trägt. Deutlich kann man Ignoranz nicht formulieren. Eine wesentliche Fragestellung müsste aus meiner Sicht lauten: Wie sieht die Gesellschaft aus in der wir in 20 Jahren leben wollen? Auf welchen Werten fußt so eine Gesellschaft? Welche Veränderungen muss man heute anstoßen, um tatsächlich so einen Zielwert zu erreichen? Welche Prozesse zur agilen Entwicklung muss man anstoßen und berücksichtigen? Wie kann man mit einer selbstbestimmten Gesellschaft die Staatsquote reduzieren? Von solchen Überlegungen ist im Koalitionsvertrag aber nichts zu finden. Welche Zukunft will da also gestaltet werden, wenn man völlig plan- und ziellos agiert und sich blind auf ein Wachstum der Wirtschaft verlässt? In diesem Themenkomplex sind die Komfortzonen sicher am ausgeprägtesten anzutreffen.

Politisches Personal: Wie wird man in Deutschland derzeit Bundesminister? Die Frage nach der Qualifikation spielt dabei keine Rolle, wie es immer wieder und erstaunlicher Weise gerne insbesondere von den CSU-Ministern beweisen wird. Nehmen wir zum Beispiel die Bundesminister Aigner, Friedrich und Ramsauer. Die fehlen eigentlich in keiner Runde des politischen Klamauks. Gibt es da wirklich kein besseres Personal?

Wenn es also nicht um persönliche Fähigkeiten oder erworbene Kompetenzen geht, wie kommt man dann ins Amt? Zum einen wohl über die Quote, gemäß des Gewichts in der Koalition. Dann wohl darüber, wer jetzt grad „mal dran“ ist und nicht zuletzt darüber, wer nicht Kanzlerin Merkel aus dem Amt beißen will. Wer ernsthaft Politik betreiben möchte, könnte jetzt noch mal die Frage nach der Kompetenz stellen. Aber nehmen wir nur Minister Friedrich, dann haben wir das Paradebeispiel eines politischen Blindgängers. Einen empathiefreien Klotz, der nicht im Ansatz verspürt, wie gefährlich das ist, was er da grad betreibt. Ein anderes Beispiel ist CDUler und Umweltminister Peter Altmeier. Der war ein exzellenter parlamentarischer Geschäftsführer und ist jetzt nur noch ein mittelmäßiger Minister. Warum? Er wurde entgegen seines Talents besetzt – aber er war halt dran mit einem Ministerposten. Seinem Nachfolger als erster parlamentarische Geschäftsführer, Michael Grosse-Brömer, geht es da leider nicht viel anders. Und nach vorn geschaut, wie verhält es sich bei den potenziellen Ministern Gabriel, Nahles, Schwesig, Dobrindt und Co.? Die Kompetenzfrage ist auch hier sehr schwer zu beantworten. Kompetent in was? Wo sind also die kompetenten Fachpolitiker, die auch das nötige Talent für Gestaltung und Führung mitbringen?  Wo ist das beste Führungspersonal, dass die Zukunft unseres Landes verdient?

Verjüngung der Parteien: Das Durchschnittsalter der Parteimitglieder ist zu hoch. Eine drängende Frage aller Parteien, auch vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, sollte daher sein: Wie gewinnt man junge, gut ausgebildete, kompetente und engagierte Mitglieder, die unser Land in Zukunft repräsentieren und gestalten. Mir persönlich sind keine besonderen Beispiele bekannt. Jedoch gibt es bspw. bei der Jungen Union finden sich erste Anzeichen der Erkenntnis dieser Thematik.

Ein Weckruf: Raus aus der Komfortzone

Liebes politisches Berlin, ich rufe Dir zu: Raus aus der Komfortzone! Werde vorwärtsorientiert, befrei dich vom Merkelschen Charakterzug der Bestandsverwaltung und wandele Dich zu einem modernen vorwärts blickenden Staat mit eignen Impulsen. Triff mutige und vor allem notwendige Entscheidungen, die große Koalition bietet theoretisch den politischen Gestaltungsraum dafür. Vor allem, bleib ein Land, in dem ich und meine Familie leben möchten! Oder gehört die Ausländermaut wirklich zu den wichtigen Themen für die Zukunft unseres Landes?