Wikileaks – Oder die Suche nach der moralischen Instanz

Fast hat es den Anschein, als wären Judikative, Legislative und Exekutive an ihre Grenzen gestoßen. Das Gesetz sagt Unrecht und das Herz verneint diese Aussage. Eine Situation, die wir aus fast jedem amerikanischen Film kennen. Der Superheld darf für die Erreichung seiner Ziele Unrecht begehen, in dem er das Böse vernichtet, um das Gute zu erhalten. Klare Sache mit Happy-End-Garantie, zumindest bei „Made in Hollywood“.

Nun erlebt die Weltpolitik einen Fall in dem ähnliche Faktoren eine Rolle spielen. Zum einen ist da die Supermacht USA mit nicht immer transparentem Handeln. Zum anderen ist da mit Julian Assange jemand der sich traut die Leichen aus dem Keller der Supermacht auf seiner Plattform Wikileaks zu veröffentlichen. Es ist schwer hier zwischen Gut und Böse zu differenzieren, schließlich beansprucht die USA für sich auf Seite der Guten zu stehen. Und dennoch ist das Vertrauen der Weltbevölkerung in Anspruch und Wirklichkeit gestört.

Gesetze haben keine Moral
Ein Gesetz sieht eine moralische Bewertung vom Prinzip nicht vor, auch, wenn vor Gericht durchaus moralische Betrachtungen einfließen. Die Handlungsweise einer Regierung basiert im wesentlichen auf Gesetzen und der Idee den Ist-Zustand zu verbessern. Im besten Fall will eine Regierung also das beste für das regierte Volk. Tatsächlich wird Regierenden unterstellt, sie seihen sich selbst am nächsten – eine nicht ganz abwegige und auch noch nachvollziehbare Betrachtung. Dennoch wünschen wir uns im Herzen, dass Regierungen dem „höheren“ Ziel folgen und ihren Auftrag zugunsten des Wohls der Bevölkerung ausleben. Das wiederum ist eine sehr moralische Betrachtung, denn die Grenzen zwischen eigenem Wohl und dem Gemeinwohl sind fließend. Genau, wie das Rechts und Unrechtsempfinden je nach Standpunkt unterschiedlich ausgeprägt ist.

Wikileaks beleuchtet Verborgenes

Das neue an der international beachteten Whistleblower-Plattform Wikileaks ist die Größenordnung der an die Oberfläche gebrachten Staatsgeheimnisse. Man könnte auf der einen Seite sagen, wo kein Kläger, da kein Richter und dies als Legitimation für Geheimniskrämerei von Regierungen bewerten. Man könnte aber auch sagen, wo Unrecht vertuscht wird geschieht noch mehr Unrecht. Die Bewertung dieser Situationen kann dann wieder nach zwei Grundsätzen erfolgen, rechtlichen und moralischen. Erstaunlich ist dabei, dass trotz klarer Rechtslage der rechtliche Aspekt bisweilen, sagen wir mal, gedehnt wird. Der Staat ist das Gesetz, könnte man das interpretieren. Spätestens, wenn diese Methodik einen Nährboden findet ist das Argument der rechtlichen Prüfung nicht ganz Nebenwirkungsfrei. Und je öfter so etwas geschieht, desto intensiver wird der Wunsch nach moralischen Instanzen wachsen. Eine Situation, die wir in Deutschland auch beobachten können, wenn wir beispielsweise auf die Brandherde Stuttgart21 oder Gorleben blicken und deren Nutznießer die Grünen als empfundene moralische Instanz sein dürften.

Wikileaks wird nun ebenfalls in den Status einer moralischen Instanz erhoben, zumindest aus der Betrachtung vieler Leser und Sympathisanten. Eine Instanz, die der Supermacht USA auf die Finger schaut. Eine Instanz, die die notwendige Reichweite erzeugen kann, um politische Fehltritte in politische Beben zu wandeln. Vertuschen zwecklos, denn die neue Transparenz nimmt keine Rücksicht auf politische Hierarchien und Netzwerke. Das ist neu und bedeutet zugleich ein Bevölkerungsbewertetes Kontrollorgan für die Mächtigen dieser Welt. Das dies absolut nicht schmeckt und die Souveränität im Umgang mit dieser neuen Transparenz fehlt, zeigen die machtgetriebenen Verdrängungsmechanismen der US-Regierung. Wikileaks soll vernichtet werden, so wird klar vermittelt. Dazu werden eigentlich autonome Unternehmen in diese Richtung „überzeugt“ und instrumentalisiert. Dies zudem scheinbar ohne einer rechtlichen Legitimation. Ein erschreckendes Szenario, dass man sonst nur von Diktaturen oder Militär-Regierungen kennt, aber nicht von der freiheitsliebenden USA.

Das präsentierte Verhalten stößt inzwischen in großen Teilen der Welt auf harsche Ablehnung und wird durch die freie Presse abgestraft. Damit wurde dem Thema noch mehr Öffentlichkeit teil. Das kennt man unter dem Begriff des Streisand-Effektes – etwas das verborgen bleiben soll, wird durch die Bemühungen des Verbergens immer bekannter. Und so wird sich die US-Regierung intensiv Gedanken darüber machen müssen, wie man zukünftig mit der Gefahr der Offenlegung von Verborgenem umgeht. Erste Schritte sind dafür bereits getan. Der Kreis jener, welcher auf die Unsumme an Geheimnissen im Diplomatischen Netzwerk zugreifen konnte wurde drastisch eingeschränkt. Darüber hinaus sollen Methodik des Informationstransportes und Lagerung des Wissens neu organisiert werden. Genau genommen sind das jedoch Augenwischerei, denn es wird nicht das eigentliche Problem – moralisch bedenkliches Verhalten – behandelt, sondern die Folgen durch den Verrat dieser diplomatischen Fehltritte, wenn man das so nennen möchte.

Dennoch gilt: Die Welt braucht Geheimnisse
Jeder von uns braucht Geheimnisse. Und jeder von uns braucht Vertraute, mit denen er diese Geheimnisse teilen kann. Auch dieser moralische Aspekt gilt weiterhin geschützt zu werden. Regierungen, Unternehmen und Personen wollen keine totale Transparenz, das zeigt nicht zuletzt die an Intensität zunehmende Diskussion über die Privatsphäre in Deutschland. Diese Diskussion ist von dem Wunsch getrieben sich vor einem Missbrauch seiner Daten zu schützen – einer moralisch verwerflichen Vorteilsnahme durch andere.

Innere Sehnsüchte treiben uns an
Die Sehnsucht nach geltenden moralischen Werten wird immer öfter formuliert und ist inzwischen häufig zu spüren. Daran haben auch Bankenkrise, Maßlosigkeit und Verantwortungslosigkeit bei wirtschaftlichen Handeln und schwer nachvollziehbare politische Entscheidungen ihren Teil. In der Summe sind das vermutlich gute Gründe, warum Wikileaks in großen Teilen der Welt so sehr beachtet wird. Gründe, die Regierenden zu denken geben sollten.

Es bleibt außerdem zu wünschen, dass Wikileaks die Trennung von Moral, öffentlichem Interesse und eigenem Machtstreben weiterhin gelingt. Das Prinzip des Whistleblowings hingegen dürfte kaum mehr zu stoppen sein – mit der Folge einer steigenden Anforderung an das Verantwortungsbewusstsein von Regierenden, sei es in Politik oder Wirtschaft.